Bell-Transistor Nr. 9 im Deutschen Museum in München zu sehen
Der Transistor gilt als die „Erfindung des 20. Jahrhunderts“. Eines der ersten funktionierenden Bauelemente aus den Bell Labs, der Transistor Nr. 9, ist jetzt im Deutschen Museum zu sehen.
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Vor mehr als 70 Jahren, am 23. Dezember 1947, stellten John Bardeen und Walter Brattain in den Bell-Laboratorien in Murray Hill eine epochemachende Erfindung vor: den Bipolartransistor.
Eine Woche zuvor hatten sie bei Messungen an halbleitendem Germanium den lange gesuchten Verstärkungseffekt in einem Festkörper gefunden. Damit war der erste funktionierende Transistor geboren, der im folgenden Jahr zum Patent angemeldet wurde.
Doch Anwendungen des Transistors blieben vorerst aus. Erst zwei von den Bell Labs veranstaltete Symposien zur Transistortechnik mit internationaler Beteiligung (ohne die damaligen Ostblockstaaten) in den Jahren 1951 und 1952 leiteten die Wende und den Siegeszug des Bauelements ein.
Im Mai 1952 waren vier Mitarbeiter der Siemens & Halske AG (Prof. Günther, Dr. Henninger, Dr. Siebertz, Prof. Welker) Teil des ausgewählten Kreises von etwa 160 Wissenschaftlern, die zum Transistoren-Symposium in Murray Hill eingeladen waren – gegen eine Gebühr von 25 000 US-$. Die Teilnehmer waren zur strikten Geheimhaltung verpflichtet, denn die USA wollten verhindern, dass Informationen über die Zukunftstechnologie in den Ostblock gelangte. Interessierte Firmen aus Westeuropa und Japan wollte man dagegen als Lizenznehmer am Wissen teilhaben lassen.
Transistorsymposium 1952 „top secret“
Dr. Karl Siebertz, der erste Direktor der späteren Transistorfabrik in München, erinnerte sich später an die Einladung: „Für uns, die wir uns eben aus der Nachkriegsnot aufrappelten, war schon die Teilnahmegebühr an diesem Symposium recht eindrucksvoll: 25000 gute 1952er Dollar für maximal vier Teilnehmer je Firma. Für die Teilnahme war ein eigener Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik und den USA erforderlich, denn im besetzten Deutschland war ja jede Geheimhaltung verboten. Aber wir befanden uns inzwischen schon mitten im kalten Krieg und das Symposium war „top secret“; der ganze Ostblock war strikt ausgeschlossen. Der Impuls, den die Halbleitertechnik durch dieses Symposium weltweit erfahren hat, ist in seiner Auswirkung kaum zu überschätzen, denn allenthalben wurden Halbleiteraktivitäten neu aufgegriffen oder vorhandene Ansätze intensiv ausgebaut.“ /1/
Auf diese Weise gelangte auch Siemens 1952 in den Besitz der neuesten Forschungsergebnisse aus den Bell-Laboratorien und einiger Muster von Bell-Transistoren, unter anderem einem Transistor mit der handgeschriebenen Nummer 9. Dabei befand sich ein handgeschriebener Zettel des Münchner Siemens-Mitarbeiters H. W. Fock vom 5. November 1952 an Dr. Henker im Labor in Karlsruhe: „Einliegend senden wir Ihnen, wie verabredet, den Bell-Transistor 1768, Nr. 9, der in der Kurvendarstellung des Eingangswiderstandes R1 in Abhängigkeit vom Gleichstromarbeitspunkt die interessanten Überschneidungen zeigt. Ein ungefähres Kurvenbild skizziere ich umseitig.“ /2/
Beginn der Transistorfertigung in München
Die auf dem Symposium gewonnenen Erkenntnisse führten dazu, dass Siemens 1952 beschloss, am Standort München in der Balanstraße eine Transistorenfabrik aufzubauen.
Die ersten bei Siemens ab 1953 hergestellten Spitzen-Transistoren der Typen TS13 und TS33 sahen den Bell-Transistoren sehr ähnlich. Siemens war damals der erste deutsche Transistorhersteller und wurde später zu einem führenden Halbleiterunternehmen. Insofern haben sich die 25 000 Dollar für die Teilnahme am Symposium durchaus gelohnt.
Nach der Gründung des ersten Halbleiterwerks in der Balanstraße wurde auch eine Transistorfertigung in München-Freiman aufgebaut und später auch ein Werk in Villach in Österreich. Siemens fertigte darüber hinaus Leistungshalbleiter (Dioden und Thyristoren) im fränkischen Pretzfeld, wo Professor Walter Schottky und Dr. Eberhard Spenke (der Vater der Silicium-Halbleiter) an der Entwicklung beteiligt waren. Hier wurde auch ein Silicium-Leistungstransistor entwickelt.
Schottkys Barrierentheorie stellte einen Meilenstein in der Erforschung der Halbleiter dar. Auf diesen Erkenntnissen bauten die Entwicklungen der Nobelpreisträger Bardeen und Brattain auf. Brattain besuchte im Jahr 1954 Schottky in Schloss Pretzfeld für einen Informationsaustausch.
Der Transistor aus der Streichholzschachtel
Der Transistor Nr. 9 schlummerte bis 2006 in einer roten, französischen Streichholzschachtel. Der pensionierte Mitarbeiter Josef Blieninger hatte ihn zu Hause aufgehoben und übergab ihn schließlich dem historischen Archiv von Infineon.
Seit dem 17. Januar 2019 ist der Transistor Nr. 9 im Deutschen Museum in München als Leihgabe von Infineon zu sehen. Generaldirektor Wolfgang M. Heckl freut sich: „Ohne Transistor gäbe es die Elektronik, wie wir sie heute kennen, nicht. Ohne diesen Transistor Nr. 9 hätte es zu diesem Zeitpunkt auch keinen Aufbau der deutschen Halbleiterindustrie gegeben. Er ist ein wichtiges Dokument der Technologiegeschichte – und ein wichtiges Exponat für das Deutsche Museum.“
Der Transistor Nr. 9 ist Teil der Ausstellung Elektronik, die im Oktober 2020 eröffnet wird. Hier ist auch das europäische Pendent zu sehen: Das Transistron, das die deutschen Physiker Herbert Mataré und Heinrich Welker (der spätere Siemens-Forschungs-Chef) in Frankreich für das französische Postministerium zeitgleich entwickelten.
Referenzen:
/1/ Berkner, J.: Vom Wernerwerk zum Campeon. Sternstunden von Siemens Halbleiter und Infineon. Selbstverlag, 2013.
/2/ ebd.; Archiv Infineon
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Warum der Transistor zweimal erfunden wurde
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