Analogtechnik – Wissenschaft oder „Schwarze Kunst“?​ Ein Interview mit Bob Dobkin.

Robert Dobkin gehört zu den Legenden in der Analogtechnik. Sein Fachbuch „Analog Circuit Design“ gilt als Analog-Bibel. Wir haben den Mitgründer und CTO von Linear Technology zur analogen Welt befragt.

Robert Dobkin: Bob ist Mitbegründer und technischer Geschäftsführer bei Linear Technology.
Robert Dobkin: Bob ist Mitbegründer und technischer Geschäftsführer bei Linear Technology.
(Bild: Linear Technology)

Bob, worin besteht für Sie der größte Unterschied zwischen der Analogtechnik der 1990er Jahre und modernen Möglichkeiten und Arbeitsweisen?

Bob Dobkin: Da gibt es viele und große Unterschiede. Die Schaltungen sind heute durch die Möglichkeit mit hoher Genauigkeit zu simulieren wesentlich komplexer als damals. Probleme können so bereits identifiziert werden, bevor man die Bausteine produziert. Jetzt lassen sich auch komplexe Mixed-Signal-Schaltungen mit einem signifikanten digitalen Anteil auf einem Chip mit analogen Schaltungen kombinieren.

Was ist heute alles möglich?

Bob Dobkin: Heute kann man analoge Schaltungen mit wesentlich höherer Leistungsfähigkeit kaufen. Komplexe Bausteine, die Leistung schalten, sind nun kombiniert mit Rückkopplung und Telemetrie ab Lager verfügbar. Von mehreren Herstellern sind sehr schnelle Datenwandler mit hoher Genauigkeit in der Massenproduktion. Schnellere Verstärker mit einer hohen Genauigkeit sind heute ebenfalls marktgängig. Und, nicht zu vergessen, Linearregler in neuen Konfigurationen und mit Überwachungsfunktionen gibt es heute auch zu kaufen.

Welche Trends erkennen Sie in der analogen Welt? Gibt es beispielsweise bei Datenwandlern eine wachsende Nachfrage nach höheren Auflösungen als 16 Bit und nach Abtastraten von mehreren GHz ?

Bob Dobkin: Bei den Datenwandlern steigen sowohl Geschwindigkeit als auch Auflösung ständig. Heute sind 20-Bit-Datenwandler mit einer Auflösung unter 1 ppm und einer Linearität besser als 1 ppm am Markt verfügbar. Dies hat Auswirkungen nach unten und macht derzeit die 16-Bit-Wandler zu den am häufigsten verwendeten Arbeitspferden im Markt und die 18-Bit-Wandler zu gängigen Aufrüstungen.

Wie erreicht man solche Werte? Welche Kompromisse müssen eingegangen werden?

Bob Dobkin: Diese neuen Bauteile sind das Ergebnis einer besseren Prozesscharakterisierung und der Erfahrung vieler Jahre in der analogen Schaltungsentwicklung. Der größte Kompromiss, der eingegangen werden muss, ist bei der Entwicklungszeit, denn der Markt akzeptiert keine Bauteile mit großen Kompromissen.

Gibt es Bauelemente in der analogen Welt, die die Vorteile kleinerer Prozessgeometrien nutzen können, die vom Moore´schen Gesetz definiert sind?

Bob Dobkin: Die Schaltungen von Linear Technology sind typischerweise mehrere Generationen hinter der modernsten Digitaltechnik zurück. Während die Digitalschaltungen heute bei 14 nm in der Massenproduktion liegen, gibt es nur wenige lineare Schaltungen, die Strukturbreiten unter 65 nm aufweisen. Analogschaltungen benötigen die kleinen Strukturbreiten der modernen Digitalschaltungen auch gar nicht. Tatsächlich erfordern viele Analogschaltungen größere Strukturen. Bei hohen Spannungen und hohen Ströme bringt ein Verkleinern der Transistoren keine Vorteile. Deshalb sind auch heute noch nach wie vor relativ große Strukturbreiten von 0,35 µm bei MOS und 7 µm bei bipolaren Schaltungen die Norm.

Was hat dann von kleineren Geometrien profitiert?

Bob Dobkin: Schnelle Datenwandler und HF-ICs sind besser geworden. Bei Mixed-Signal-Schaltungen, also kombinierten Analog-/Digitalstrukturen, haben die kleineren Strukturbreiten zu höheren Geschwindigkeiten und einem größeren Funktionsumfang geführt.

In welcher Geometrie wird heute ein „typisches“ lineares Produkt gefertigt?

Bob Dobkin: Lineare Schaltungen werden heute mit Strukturbreiten zwischen 0,18 und 0,6 µm gefertigt. Bei bipolaren Transistoren ist die Norm zwischen 3 und 10 µm, aber mit sehr kleinen Geometrien für HF-Schaltungen.

Führt die Digitaltechnik zukünftig dazu, dass analoge Schaltungen mit kleineren Geometrien funktionieren? Ist dies ein Trend?

Bob Dobkin: Ich sehe nicht, dass die Digitaltechnik der Analogtechnik helfen kann, auf kleineren Strukturen zu arbeiten. Als Entwickler hat man eine Funktion zu realisieren und muss Spezifikationen erreichen. Dazu nimmt man dann den Prozess und die Funktionen, die das am besten erfüllen. Man geht an das Problem mit dem Gedanken heran, den bestmöglichen Job mit den Werkzeugen, die dafür geeignet sind, zu erledigen.

Wie sieht es mit dem Potential an Analogentwicklern aus? In den USA werden diese Spezialisten in Analogie zu alten Gorillas gerne als „Silberrücken“ bezeichnet.

Bob Dobkin: Wir sind eine Firma voller Analogentwickler und die sind alle jünger als ich. Wir stellen Analogentwickler auch direkt von den Universitäten und Hochschulen ein, die führen ihre Ausbildung dann bei uns weiter. Eigentlich haben wir keine Probleme Analogentwickler zu finden und einzustellen, wohl weil wir als Firma für die Analogentwicklung bekannt sind. Andere Unternehmen finden das vielleicht schwieriger und sehen Analogentwickler als wertvolles Gut an.

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Welche Kenntnisse sind nötig, um einerseits analoge ICs zu entwickeln und andererseits, um sie in Produkten einzusetzen?

Bob Dobkin: Die Kenntnisse sind gleich – man muss verstehen, wie die Schaltungen arbeiten. Die Wissensbasis ist jedoch unterschiedlich, weil der Entwickler einer diskreten Applikation verstehen muss, wie das IC arbeitet und auch die Charakteristika der diskreten Komponenten kennen muss. Der IC-Entwickler muss nur den Chip verstehen.

Nimmt Linear Technology die Anwender „an die Hand“, um den Ingenieuren zu helfen eine Technologie einzusetzen? Welche Rolle spielt die höhere Integrationsdichte dabei?

Bob Dobkin: Wir halten die Hände der Anwender seit 30 Jahren. Es ist wichtig, den Kunden dabei zu helfen, die Bauteile richtig einzusetzen. Wir betrachten deshalb den Support als einen integralen Bestandteil unserer Aufgabe. Je höher die Integrationsdichte, desto höher ist auch der Aufwand für die Applikationsunterstützung. Komplexe Mixed-Signal-Bauteile enthalten heute Software-Schnittstellen und Applikationsprogramme sowie auch selbst geschriebenen Code.

Wie sehen Sie die Zukunft der Analogentwicklung?

Bob Dobkin: Ich entwickle seit vielen Jahren analoge Schaltungen und es ist immer noch interessant. Wir entdecken immer wieder neue Dinge, sowohl im Chip als auch in den Schaltungen, um damit neue Produkte zu realisieren. Die Analogtechnik mit ständig steigender Leistungsfähigkeit wird immer noch gebraucht. Als wir Linear Technology gründeten, war die Zukunft schon rosig und sie ist heute noch viel glänzender.

Was würden Sie künftig gerne wissen wollen?

Bob Dobkin: Wenn man im Analog-Geschäft ist und neue Produkte entwickelt, die es vorher noch nicht gegeben hat, dann muss man eine gute Trefferquote bei der Akzeptanz dieser Produkte erreichen. Die künftigen Entwicklungen zu kennen, hilft dabei ungemein. Natürlich wissen wir heute mehr über analoge Schaltungen und Fertigungsprozesse als damals, als wir das Unternehmen gegründet haben. Betrachtet man unser Know-how aus heutiger Sicht, so waren wir sehr gut im immer wieder Straucheln. Aber dadurch gewinnt man Erfahrungen. Die Entwicklung analoger ICs ist mehr eine Wissenschaft und weniger „Schwarze Kunst“, obwohl es immer noch einen gewissen Anteil an großer Kunstfertigkeit dabei gibt.

Bob, vielen Dank für dieses Gespräch.

Über Robert (Bob) Dobkin

Bob Dobkin ist Mitbegründer und technischer Geschäftsführer bei Linear Technology. Bis 1999 verantwortete er alle Neuentwicklungen bei Linear. Bevor Linear Technology 1981 gegründet wurde, war Dobkin elf Jahre bei National Semiconductor „Director of Advanced Circuit Development”. Er ist seit mehr als 30 Jahren sehr stark an der Entwicklung von integrierten Hochleistungsschaltkreisen beteiligt und hat viele Standard-ICs für die Industrie entwickelt. Er hält mehr als 100 Patente zu Linearen ICs und hat mehr als 50 Artikel verfasst. Dobkin hat einen Abschluss des Massachusetts Institute of Technology. Dobkin hat mit dem 2011 ums Leben gekommenen Chefentwickler Jim Williams 2011 eine Auswahl an Schaltungen im Buch „Analog Circuit Design: A Tutorial Guide to Applications and Solutions“ veröffentlicht. Der zweite Teil des Buches mit dem Untertitel „Immersion in the Black Art of Analog Design“ folgte 2013 (beides Elsevier).

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Dieser Autorenbeitrag ist in der Printausgabe ELEKTRONIKPRAXIS 21/2015 erschienen. Diese ist auch als kostenloses ePaper oder als pdf abrufbar.

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