Grundlagen Leistungselektronik Vom Selen zum Siliziumkarbid: Eine kurze Geschichte der Leistungselektronik
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Im Jahr 1950 taucht in den USA erstmals der Begriff „Power Electronics“ auf; im Jahr 1957 stellen Shockley, Ebers und Moll den ersten Thyristor vor. Wir fassen in diesem Artikel wichtige Meilensteine der Leistungselektronik zusammen.

Fundamente der Elektronik sind: Georg Simon Ohm erkannte 1821 die Proportionalität von Strom, Widerstand und Spannung; Jöns Jakob Berzelius entdeckte 1818 das Element Selen, 1823 Silizium und 1824 Tantal.
Definition der Elektrizität: Die Elektrizität ist der reine Zweck der Gestalt, die sich von ihr befreit; die Gestalt, die ihre Gleichgültigkeit aufzuheben anfängt, denn die Elektrizität ist das unmittelbare Hervortreten oder das noch nicht von der Gestalt herkommende, noch durch sie bedingte Dasein, oder noch nicht die Auflösung der Gestalt selbst, sondern der oberflächliche Prozeß, worin die Differenzen ihre Gestalt verlassen, aber sie zu ihrer Bedingung haben und noch nicht an ihnen selbstständig sind. (Georg Wilhelm Friedrich Hegel, 1770-1831)
Hegels Vorstellung davon, was Elektrizität sei, stammt aus einer Zeit, in der das Thema eher philosophisch als ingenieurwissenschaftlich betrachtet wurde. Der wissenschaftliche Ansatz zum Verständnis der Elektrizität geht aber ebenfalls auf das siebzehnte Jahrhundert zurück. Stephen Gray beschrieb bereits 1727 den Unterschied zwischen Leitern und Nichtleitern. Siebzig Jahre später, 1800, erfindet Alessandro Volta die Batterie; aber knapp 100 Jahre dauerte es, bis Georg Simon Ohm 1821 die Proportionalität von Strom, Widerstand und Spannung beschrieb – das Ohm’sche Gesetz.
Erste Schritte der Elektrifizierung
James Clerk Maxwell entwickelte 1864 das häufig als Maxwells wunderbare Gleichungen bezeichnete System aus nur vier Gleichungen, mit denen sich alle elektromagnetischen Zusammenhänge mathematisch erfassen lassen. Heute ist Elektrizität der omnipräsente Begleiter in allen Industrienationen obwohl, oder gerade weil, sie nur genau zwei Dinge ermöglicht: Elektrizität erlaubt die Übermittlung von Information oder den Transport von Energie.
1890 stritten Westinghouse und Edison um die Versorgung der Vereinigten Staaten von Amerika mit Elektrizität. Kern des Zwists war die Frage, ob sich die von Edison bevorzugte Gleichspannung oder das von Westinghouse favorisierte Drehspannungssystem durchsetzen würden. Das Ergebnis ist bekannt, die Wechselspannung gewann das Rennen.
Alle weltweit installierten Industrienetze zur Verteilung von elektrischem Strom an Endverbraucher sind heute Wechselspannungsnetze. Gleichspannungsnetze bleiben dagegen die bevorzugten Lösungen in der Welt der Energieübertragung über lange Distanzen; hier haben sie sich wegen der höheren Effizienz der Gleichstromtechnik durchgesetzt.
In den Anfängen der Elektrifizierung waren lediglich Glühlampen und wenige elektrische Motoren als Verbraucher am Netz; eine lokale Anpassung der Spannung an eine Applikation war daher unnötig. Ende der 1880er entwickelte Michail Ossipowitsch Doliwo-Dobrowolski den Drehstrom-Asynchronmotor, der zwar zum Arbeitspferd der Industrie wird, dessen Drehgeschwindigkeitsregelung aber noch schwierig ist.
Vom Drehstrom zur variablen Gleichspannung
Im Jahr 1891 führte der Amerikaner Harry Ward Leonard mit dem nach ihm benannten Leonardsatz eine Kombination aus rotierenden elektrischen Maschinen ein, die auf mechanisch-elektromagnetischem Weg eine Veränderung von Frequenz und Amplitude eines Drehstromsystems gestattet.
Es sollte weitere 90 Jahre dauern, bis diese Aufgabe großflächig ohne den Einsatz mechanischer Komponenten möglich wurde, obwohl mit dem 1874 von Ferdinand Braun entdeckten Gleichrichtereffekt bereits eine wichtige Grundlage geschaffen war – ein Schritt in Richtung Halbleiter-Diode.
Greenleaf Whittier Pickard erhielt 1906 das erste Patent auf eine Diode auf Siliziumbasis. Der gleichrichtende Effekt von Halbleiter-Metallkontakten wurde bereits in den 1920ern in Kupfersulfid/Kupfer-Gleichrichtern genutzt. In den späten 1920ern entwickelte Ernst Presser in Deutschland den Selengleichrichter, aber erst 1939 war es Walter Shottky, der die Theorie und die physikalischen Zusammenhänge hinter diesem Prinzip verstanden und beschrieben hat.
Vom Gleichrichter zum Schalter moderner Leistungselektronik
Die Entwicklung der modernen Leistungselektronik machte von hier an Sprünge etwa im 10-Jahres-Rhythmus: 1947 entwickeln Bardeen, Shockley und Brattain den ersten Transistor, eine Arbeit für die sie kurz darauf den Nobelpreis erhielten. Bereits 1950 tauchte in den USA der Begriff „Power Electronics“ auf. 1957 folgt von Shockley, Ebers und Moll der erste Thyristor.
Dieses Bauelement erlaubt die Kontrolle größerer Ströme unter Verwendung von Halbleitern und hat bis heute in der Bauform von Scheibenzellen für Hochleistungsapplikationen einen festen Platz am Markt. Auch in kleineren Leistungen findet es sich bis heute in Dimmern und Motorstartgeräten.
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Warum der Transistor zweimal erfunden wurde
Der Nachteil, dass das Bauelement nur mit erheblichem Aufwand auszuschalten ist, führt zur Entwicklung von speziellen abschaltbaren Varianten wie dem Integrated-Gate-Commutated Thyristor (GTO) oder dem MOS-Controlled Thyristor (MCT).
Beide sind heute vom Markt so gut wie verschwunden; dennoch ist der Thyristor bei weitem keine Technik von gestern. Eine einzigartige Entwicklung bezüglich des Thyristors stellen die mit einem Lichtimpuls einschaltbaren Thyristoren dar.
Der Light-Triggered-Thyristor (LTT) als prominenter Vertreter seiner Gattung in der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) eliminiert durch den Einsatz von Licht als Steuergröße die Unsicherheit der auf unterschiedlichen Leitungslängen basierenden Laufzeiten; er wurde 1997 vorgestellt.
Der Japaner Yamagami beschrieb 1968 einen 4-Schicht-Halbleiter, der von einer MOSFET-Struktur kontrolliert wird, und lieferte damit die Vorlage für den ersten, 1982 von Jayant Baliga vorgeführten Insulated Gate Bipolar Transistor – den IGBT. Dieser Schalter wird zum Rückgrat der modernen Leistungselektronik, obwohl die ersten Vertreter seiner Art noch unter parasitären Effekten leiden, die ihm aber schnell aberzogen werden können.
Eine deutsche Technologie- und Knowhow-Schmiede
Aus den beiden Unternehmenszweigen Siemens-Halbleiter und AEG-Halbleiter wurde Anfang der 1990er Jahre die European Power Electronic Company oder eupec ausgegliedert mit dem Ziel, Hochleistungshalbleiter am Markt zu etablieren.
Bereits 1993 erschien mit dem Industrial High Power Module (IHM) das erste industrietaugliche IGBT-Modul, das mit einer Sperrspannung von 1200 V und einer Stromtragfähigkeit von 1000 A neue Maßstäbe setzte und zum de-facto-Standard avancierte.
Die hier gestartete Entwicklung brachte in kürzester Zeit immer weiter optimierte Generationen von IGBTs hervor, die bis heute der Schlüssel zur effizienten Umwandlung von elektrischer Energie sind.
Wegen seiner speziellen Eigenschaften eroberte der IGBT eine breite Vielfalt von Applikationen und findet sich heute in allen Leistungsbereich von unter 1 kW bis hin zum Höchstleistungsbereich der Gigawatt-Anwendungen wieder. Die im gleichen Zuge stetig steigenden Anforderungen vom Markt drängten die Entwickler gleichzeitig dazu, neben dem eigentlichen Halbleiterschalter auch die umgebende Aufbau- und Verbindungstechnik zu verbessern.
Das Aufgabengebiet Hochleistungshalbleiter wird damit zur interdisziplinären Gesamtaufgabe an der neben den Elektrotechnikern auch Halbleiterphysiker, Metallogen, Mechaniker, Chemiker, Kunststoff- und Prozesstechniker intensiv mitwirkten.
Einst und Jetzt – war früher alles besser?
Welchen globalen Einfluss die Leistungselektronik auf Technik und Gesellschaft hat, entzieht sich sprichwörtlich der Vorstellungskraft. Am besten lässt er sich anhand der nachfolgenden Beispielen darstellen, die sich im Leben Aller wiederfinden. Eine Leuchtstofflampe mit einer Nennleistung von 36 W und konventionellem Vorschaltgerät ohne Leistungselektronik entnimmt beim Betrieb dem Netz etwa 50 W.
Die gleiche Röhre, betrieben mit elektronischem Vorschaltgerät, konsumiert weniger als 40 W. Bei gleicher Ausbeute bedeutet dies eine Steigerung des Wirkungsgrades von über 25%. Ein Auto mit Verbrennungsmotor erreicht im alltäglichen Einsatz einen Wirkungsgrad weit unter 20%, ein vergleichbares Elektrofahrzeug liegt dagegen bei über 80%.
Die Ausstattung moderner Züge mit rückspeisefähiger Technik spart bei den Betreibern monatlich erhebliche Geldbeträge aber auch der „kleine Mann“ profitiert von Verbesserungen durch den Einsatz von Leistungshalbleitern. Ein Schweißgerät auf Basis gewickelter Transformatoren bringt, je nach Leistungsklasse, leicht ein Gewicht von 50 kg auf die Waage. Ein leistungsgleiches Gerät, ausgestattet mit Leistungselektronik, geht heute als leichtes mobiles Equipment durch.
Die Energiewende in Deutschland
Deutschlands ehrgeiziges Projekt Energiewende ist überhaupt erst mit den Mitteln der Leistungselektronik möglich. Windkraft- und Solaranlagen liefern, anders als thermisch betriebene Kraftwerke, keine konstante Spannung. Die von Windkraftanlagen gelieferte Wechselspannung muss in Frequenz und Amplitude an das Netz angepasst werden.
Die erste großindustriell ausgelegte Windkraftanlage, die in den 1980ern erbaute Growian des RWE, nutzte hierzu einen Leonardsatz. Die auf 3 MW ausgelegte Anlage erzeugte Verluste in der Größenordnung von 500 kW. Moderne Dreiflügler sind heute mit Leistungen jenseits der 6 MW im Einsatz, der Wirkungsgrad der Energiewandlung ist von den ungefähr 80% des Growians auf Werte um 97% gestiegen. Eine Anlage der 3-MW-Klasse erzeugt weniger als 100 kW Verlustleistung und erbringt bei 2000 Volllaststunden im Jahr im Vergleich zum Growian eine zusätzliche energetische Ausbeute von 800.000 kWh.
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Die Geschichte zu den de-Facto-Standards bei Operationsverstärkern
Alleine die Steigerung des Wirkungsgrades durch die Leistungselektronik liefert ein Plus an Energie, das ausreichend ist, um 200 zusätzliche Haushalte zu versorgen. Die von Solarzellen bereitgestellte Gleichspannung bedarf ebenfalls einer Anpassung an die Bedingungen des zu speisenden Netzes.
Auch hier könnte der Leonardsatz zum Einsatz kommen, aber auch hier liefert die Energiewandlung mittels leistungselektronischer Komponenten das ungleich bessere Ergebnis.
Ist nun das Ende der Entwicklung erreicht?
In den letzten 30 Jahren avancierte der IGBT zur Kernkomponente der Leistungselektronik und ist in dieser Zeitspanne immer effizienter, leistungsstärker und zuverlässiger geworden. Der stetige Versuch, Geräte effizienter, kleiner und in Summe kostengünstiger zu gestalten, ist die treibende Kraft hinter der Entwicklung von Schaltern mit immer besseren Eigenschaften, geringeren spezifischen Verlusten und höheren Stromtragfähigkeiten.
Ein noch relativ junger Trend in der Leistungselektronik bringt weiteres Potenzial in die Halbleitertechnologie ein. Die sogenannten Wide-Bandgap Materialien Gallium-Nitrit (GaN) und Siliziumkarbid (SiC) öffnen den Pfad hin zu noch effizienteren Bauelementen, höheren Stromtragfähigkeiten und höheren Schaltfrequenzen.
Für leistungselektronische Aufbauten existiert heute eine übliche Obergrenze der volumetrischen Leistungsdichte von etwa 2 kW/Liter. Im Jahr 2011 demonstrierte Infineon den auf SiC-Komponenten aufgebauten Matrixumrichter mit einer Leistungsdichte von 20 kW/Liter.
Wenngleich zwischen Prototyp und möglichem Serien-Design einer leistungselektronischen Entwicklung noch Abstriche an der Leistungsdichte zu erwarten sind, ist dennoch deutlich erkennbar, wohin der Weg führt – ein Ende lässt diese Entwicklung aber nicht erkennen.
Im Mai 2016 sind auf der Branchenmesse PCIM Europe die ersten Innovationen mit SiC bei Infineon vorgestellt worden. Der SiC-MOSFET auf Basis der etablierten Trench-Technologie ist der jüngste Meilenstein in der Geschichte der Leistungselektronik – ganz sicher ist er aber nicht der letzte.
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Eine kurze Geschichte der Funktechnik: Empfängerarchitekturen damals und heute (Teil 4)
* Dr. Martin Schulz arbeitet im Application Engineering bei Infineon Technologies in Warstein.
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